Die wahren Helden

Wieder mal ist ein Regattawochenende vergangen; der Wind war moderat, für alle was.
Leider war das Feld nicht so groß, wie man sich’s gewünscht hätte: etliche Segler konnten oder wollten aus Termin-, Zeit-, gesundheitlichen oder einige vielleicht auch aus Kostengründen nicht kommen, ein Club, aus dem sonst einige Boote teilnehmen, hatte eine große Feier,
…, und in der Nähe gab‘s eine andere Ranglisten-Regatta. An dieser Stelle fragt man sich: wieso fährt jemand nicht ein paar Kilometer weiter, wenn’s dort statt 115 Punkten 132 zu verteilen gibt?

Liegt es vielleicht auch daran, dass man von einigen vermeintlich besseren Seglern, die sich meistens bei den höher bewerteten Regatten sammeln, manchmal nicht mit dem nötigen und gegebenen Respekt behandelt wird? Bei den kleineren Regatten ist man doch eher unter sich, alle haben die gleichen Probleme mit dem Boot, dem Wind, den Gegnern. Das eigene Boot, oft liebevoll gepflegte oder restaurierte ältere Risse von klassischer Schönheit, findet bei Gleichgesinnten Beachtung; es geht nicht nur um neue High-Tech-Lösungen bei Rumpf, Segeln oder Beschlägen. OK, … die Chancen auf eine vordere Platzierung steigen hier auch noch und dass „die Sache mit dem olympischen Gedanken“ so nicht stimmt, wissen alle: Gewinnen macht nun mal mehr Spaß als Verlieren!

Trotzdem nehmen auch viele der vermeintlich schwächeren (aus welchen Gründen auch immer) Mannschaften mehr oder weniger regelmäßig an Regatten teil. Auch Sie fahren bei 20 Knoten Wind, in den Böen werden’s dann auch schon mal 25, raus wenn der Wettfahrtleiter es so will, überwinden die eigene Angst, den Respekt, den man vor solchen Bedingungen auch haben sollte, spätestens dann wenn man daran denkt, am Ende der Kreuz auch noch 50 Quadratmeter buntes Tuch zusätzlich hochzuziehen und kämpfen dann da draußen fast „ums Überleben“, versuchen zumindest, eine Kenterung zu vermeiden.

Jede(r), der bei solchen Bedingungen mit einem technisch so anspruchsvollen Boot ‘rausfährt (oder auch nicht!) hat Respekt verdient, die Hinteren mehr als die Vorderen, denn da waren meistens auch die Probleme größer, die es zu bewältigen gab:
Das Handling älterer Boote ist oft schwieriger:

  • die Formstabilität ist geringer
  • die Trimmmöglichkeiten sind begrenzt
  • sie gleiten nicht so leicht an und raumschots in Verdrängerfahrt wird‘s echt kribbelig, wenn ordentlich Druck in der Luft ist

Man fragt sich häufig:

  • halten Stagen, Spieren und Segel?
  • kann der alte Rumpf, das Schwert, das Ruder den Druck noch ab?
  • wie hoch schwimmt das Boot auf, wenn wir kentern?
  • werden wir es schaffen, es ohne großen Schaden aufzurichten?

Vorn ist das alles einfacher: Man hat das entsprechende Material, muss nicht auf ganz so viele andere Boote aufpassen, hat oft mehr Training und Erfahrung, vor allem bei kräftigen Wind und dann wird vieles einfacher und macht sogar bei 6 Bft noch Spaß!
… und dann an Land: die Vorderen sind die Helden, werden gefeiert, feiern sich selbst. Für die Hinteren hört sich dann manchmal selbst ein gut gemeintes: „ … na, wie war‘s denn bei Euch?“ von „denen“ leicht überheblich an.
Trotzdem lassen sie sich nicht entmutigen; sie wissen genau, dass sie am kommenden Regatta-Wochenende wahrscheinlich wieder nicht „auf dem Treppchen stehen werden“; dennoch nehmen sie die Mühen und Kosten auf sich, um dort dabei zu sein.

Was wären die Vorderen ohne diese unermüdlichen anderen Segler,

  • die trotz geringer Aussichten auf einen Sieg antreten
  • die sich mit ihrer/einer Frau/ihrem Kind/ihrem alten Kumpel/einem Jugendlichen aus dem Club, … auf so ein Boot setzen obwohl die Arbeit wirklich hart ist und die Kräftigeren Vorteile haben
  • die auch im Alter und/oder trotz lädierter Gesundheit noch weitersegeln, oft, obwohl sie schon alles erreicht haben
  • denen schon VOR dem Rennen die Knochen weh tun und die trotzdem noch mitmachen
  • die mit ihrem alten Boot antreten obwohl sie wissen, dass es bei vielen Bedingungen langsamer ist als die neueren
  • die auch mal ein gebrauchtes Segel kaufen, das einem Anderen nicht mehr gut genug ist
  • die den Mut, den Verstand und die Größe haben, auch mal an Land zu bleiben, wenn wirklich zu viel Luftbewegung ist

Ohne diese

  • würden (Ranglisten-)Regatten nicht oder nur gelegentlich zustande kommen
  • bestünde die Rangliste nur aus einigen wenigen Leuten
  • würde eine Deutsche Meisterschaft nicht mehr stattfinden, der Status würde aberkannt
  • wäre es ziemlich einsam und langweilig auf dem Parcours und den abendlichen Feiern
  • würde es Allen keinen Spaß machen: es ist viel schöner, in einem großen Feld zu segeln
  • könnte man selbst gutes gebrauchtes Material nicht mehr verkaufen, wenn man doch mal ‘was Neues möchte.
  • Ein erster Platz wäre nichts wert, wenn man allein wäre, meinetwegen auch zu zweit oder dritt (außer beim Match-Race, da reicht’s, wenn man immer Vorletzter wird).
  • Ranglistenpunkte gäbe es dann ohnehin nicht mehr

Genau DIESEN Seglern gebührt mein größter Respekt! DANKE!


Ich möchte mit diesen Gedanken nicht andeuten, dass es in der P-Boot-Klasse ein übertriebenes Hierarchie-Denken gibt, ganz im Gegenteil! Der Zusammenhalt und das Miteinander ist hier viel besser als in etlichen anderen Klassen, die ich kennengelernt habe; ich weiß auch nicht, ob oder wie man so etwas ändern, die Hinteren mehr in den Mittelpunkt stellen, kann und dennoch habe ich immer diesen leicht faden Beigeschmack wenn ich daran denke wie (unterschiedlich) man teilweise behandelt wird (sicherlich oft unbewusst und vielleicht liegt’s ja auch an beiden Seiten), wenn man regelmäßig VORNE oder HINTEN ist, … aber so ist das wohl auch im richtigen Leben …


Hugo, z.Zt. Vorschoter auf <P GER 1773> , kennt vorne UND hinten